Geschichten vom Missionsfeld

Januar 2024

Brasilien: Wo Würde (wieder) einen Wert bekommt

Leben im Sozialzentrum in Diadema/Brasilien

Diadema. Eine Großstadt südlich der Riesenmetropole São Paulo. Die Bevölkerungsdichte ist hier besonders hoch. 70% der Stadt bestehen aus sogenannten Favelas, den Armenviertel, oft der Ausgangspunkt für Drogenhandeln und Kriminalität. Seit 2002 ist das Sozialzentrum eine wichtige Anlaufstelle für Kinder, Jugendliche und Eltern, um Unterstützung in allen Bereichen des Lebens zu bekommen. Mittlerweile können Jugendliche und Erwachsene an kostenlosen zertifizierten Kursen teilnehmen und sich dadurch für eine Berufsausbildung, besonders im Bereich IT und Schreinerei, qualifizieren.

Montagmittag. Es ist wuselig und wimmelt von Kindern. Nach und nach strömen sie aus der Schule in ihre Räume, zu ihren Betreuern, rempeln sich an, rufen, schreien, toben, lachen – was Kinder halt so machen. Manche waren nicht in der Schule und sind genauso willkommen. Es waren und sind die Ärmsten der Armen, denen die Angebote im Sozialzentrum in Diadema gelten. Und genauso ihren Eltern.  

Ankommen in Diadema

An diesem Montagmittag ist auch Roberta (Name geändert) da. Sie ist 14 Jahre alt und zum ersten Mal da. Sie wirkt verschüchtert und ängstlich. Alles und jeder ist ihr fremd. Trotzdem wagt sie ein zartes Lächeln. Ihr Herz schmerzt, denn das Leben macht ihr Angst und sie leidet unter Depressionen. Keiner weiß wirklich wie lange schon und warum genau. Wie es in ihr aussieht, das weiß nur Roberta selbst. In ihrer Kindheit lebte sie bei ihrer Großmutter. Die Mutter ihrer Mutter. Diese liebt und bewundert sie sehr. Doch sie ist nun weit weg, denn ihre Familie ist nach Diadema gezogen. Hier im Sozialzentrum bemerken die Pädagoginnen und Betreuer schnell, dass das zurückhaltende Mädchen besondere Aufmerksamkeit braucht, Zuwendung und Schutz. Sie haben ein feines Gespür und einen erfahrenen Blick für die leisen Zwischentöne der Seelen der Kinder. Denn in all ihrer Arbeit ist ihnen eins wichtig: die Würde eines jeden zu achten und den Kindern zu helfen, ihren Wert zu entdecken und zu schützen. Durch die Angebote sollen die Kinder und Jugendlichen lernen, sich in dieser Welt zu bewegen. Dazu gehören Kurse, in denen die jungen Menschen dem Alter entsprechend lernen, die eigenen Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken. Sie üben, Konflikte zu lösen, über das Leben und den Tod nachzudenken und erfahren, welche Rechte und Pflichten sie als Bürger des Landes haben. Außerdem werden Kindertage gestaltet, Geburtstage und Feste gefeiert und Kreativworkshops zu verschiedenen Themen angeboten. Dazu gibt es Tipps für einen guten Umgang mit den sozialen Medien und viel mehr.

Ein Neubeginn

Robertas Eltern waren nicht da, um sie vor den Gefahren des Internets zu schützen. Sie hatten sich scheiden lassen, als sie noch ein Kind war. Sie war oft allein und fühlte sich vernachlässigt. Das Verhältnis zu ihrer Mutter, bei der sie seit einigen Jahren lebt, ist nicht gut. Roberta fällt es schwer, sich ihr anzuvertrauen. Sie spürt, dass ihre Mutter nicht wirklich für sie da ist. Und so verliert sich Roberta in ihrer Traurigkeit immer häufiger in den Weiten des Internets. Es war nur ein harmloses Spiel, das sie auf ihrem Handy spielte. Plötzlich landet sie durch einen Klick auf einer anderen Seite. Über einen Chat lernte sie einen Mann kennen und kommt mit Pornografie in Berührung. Sie erfährt, dass Missbrauch auch über das Internet möglich ist. Mehrere Male versucht sie sich das Leben zu nehmen, doch sie ist noch immer hier. Am Leben. Und gut aufgehoben im Sozialzentrum. Auch wenn die Eingewöhnung in der neuen Schule schwerfällt – im Volleyballkurs des Sozialzentrums findet Roberta schnell Anschluss. Sie spürt, dass die Bewegung und die Gemeinschaft ihr guttun. Auch die anderen im Team mögen sie. Das hätte sie nicht gedacht. Zusätzlich bekommt sie Medikamente und eine psychotherapeutische Behandlung. All das trägt dazu bei, dass sich Licht im Dunkel ihrer Seele ausbreitet.

Touching Life – vom Leben berührt

Im Programm Touching Life erfährt Roberta zusätzlichen Halt und Hilfe. Zusammen mit anderen Teenagern lernt sie ein Jahr lang intensiv über sich selbst nachzudenken. Die Gruppe entwickelt sich für sie zu einem Schutzraum. Sie fühlt sich willkommen so wie sie ist. Mit der Zeit fasst sie Vertrauen, öffnet sich. Vor allem sich selbst gegenüber. Sie denkt viel nach über ihre Kindheit, das Leben bei ihrer Großmutter und die schmerzhafte Trennung der Eltern. In der Gruppe lernt sie, dass sie wertvoll und liebenswürdig ist - auch mit ihren Schmerzen und dem erfahrenen Leid. Sie spürt, dass das Schwere leichter wird und hat viel freundlichere Gedanken über sich selbst als früher. Roberta fasst den Mut, ihr Leben selbst zu gestalten. Jeder in der Gruppe hat sich in dem Jahr entwickelt und viel von dem Gelernten auf das eigene Leben anwenden können. Diese Entwicklung berührt die Betreuer und macht sie dankbar. Roberta schätzt den Frieden und die Freundlichkeit der Mitarbeitenden sehr. Das macht auch ihre Mutter glücklich.

Die Leiterin Simone Heimann Almeida fasst zusammen, was Roberta und die vielen Kinder, Jugendlichen und Familien im Sozialzentrum erleben: „Die Einrichtung ist wie ein Leuchtturm in der Nachbarschaft, der die Dunkelheit erhellt. Jeder, der aufgenommen, betreut und willkommen geheißen wird, kann erleben, dass dieser Ort von Frieden, Liebe und Geborgenheit überströmt.“

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