Geschichten vom Missionsfeld

Mai 2024

Brasilien: Durch Zeichen mit der Welt verbunden

Für Gehörlose sind selbst einfache Aufgaben schwer zu bewältigen: Sie brauchen Begleitung bei Arztbesuchen, Behördengängen oder in alltäglichen Situationen, um dort problemlos kommunizieren zu können. Durch das Engagement der Baptistengemeinde in Ijuí/Brasilien entstand das Gehörlosenprojekt CAIS, um den Betroffenen und ihren Familien zu helfen und sie mit der Guten Nachricht zu erreichen.

Eine Gemeinde will den Gehörlosen dienen

Bereits vor 20 Jahren nutzte Edilson Dransfeld, damals Pastor der Baptistengemeinde in Ijuí, die Gebärdensprache LIBRAS, um die Gottesdienste für Gehörlose zugänglich zu machen. Durch den Kontakt zu den Gehörlosen wurde schnell klar, wie schwer der Alltag für viele von ihnen ist. In ihm entstand der Wunsch, ein Zentrum zu gründen, um diesen Menschen professionell und nachhaltig helfen zu können. So gründeten sie 2004 CAIS (Zentrum für die ganzheitliche Betreuung von Gehörlosen) in Ijuí und begannen mit der Begleitung und Unterstützung von Gehörlosen und ihren Familien.

Heute erhalten 23 Kinder und Jugendliche wöchentlichen Unterricht in LIBRAS und Portugiesisch, damit sie im Alltag, in der Schule und mit ihren Familien besser kommunizieren können. Darüber hinaus werden fast 60 Personen regelmäßig bei Behördengängen, Arztbesuchen oder auch mit Lebensmitteln unterstützt.

Im Gespräch mit einem Lehrer für Gehörlose

Direktorin Silvia da Costa ist Sozialarbeiterin und setzt sich gemeinsam mit dem gehörlosen Lehrer Paulo stark für die Gehörlosen und ihre Familien ein. In einem schriftlichen Interview erzählt Paulo aus seiner Arbeit.

EBM INTERNATIONAL: Warum sind Sie Lehrer für LIBRAS geworden?

Paulo Augusto Matter: Da ich selber gehörlos bin, habe ich LIBRAS gelernt, als ich 13 Jahre alt war. In der Schule verstand ich nichts von dem, was die Lehrer oder meine Mitschüler sagten, es gab keine Möglichkeit der Verständigung. Ich war sehr gereizt und wollte nicht mehr zur Schule gehen. Aber meine Mutter ermutigte mich weiter zu machen und LIBRAS zu lernen. Dadurch konnte ich nicht nur die Schule erfolgreich beenden, sondern auch Pädagogik und LIBRAS-Literatur studieren.

Danach wollte ich Lehrer werden, weil ich davon träumte, LIBRAS anderen Menschen, vor allem Kindern, beizubringen. Damit gehörlose Menschen ein normales Leben ohne Kommunikationsbarrieren führen können. Und auch, weil ich merkte, dass es an Fachleuten in diesem Bereich mangelt.

Was bedeutet es, in Brasilien gehörlos zu sein?

Das ist eine große Herausforderung, denn die Leute halten uns manchmal für unfähig oder geistig behindert. In Wirklichkeit sprechen wir einfach nur eine andere Sprache als andere Menschen. In Brasilien gibt es einen erheblichen Mangel an LIBRAS-Dolmetschern in Schulen, öffentlichen Einrichtungen oder Krankenhäusern. Gehörlose Menschen sind oft auf die Anwesenheit eines Familienmitglieds angewiesen, das sie begleitet, aber es gibt auch Fälle, in denen überhaupt keine Unterstützung da ist. CAIS hilft in genau diesen Bereichen und auch bei der Verständigung mit Familienmitgliedern.

Wie ändert sich das Leben eines Kindes und seiner Familie, wenn es zu CAIS kommt und LIBRAS lernen kann?

Wir erleben sehr schnell eine große Veränderung. Häufig hatten die Kinder keine oder nur sehr begrenzte Möglichkeiten sich zu verständigen. Manche haben sich zuhause sogar eine eigene Zeichensprache ausgedacht. Das ist für die Familien traurig und belastend. Kinder, die sich nicht verständigen können, sind oft sehr unruhig, gereizt und ungehorsam. Sie können ihre Eltern nur begrenzt verstehen und auch nicht ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse äußern. Alles verändert sich, wenn sie anfangen, die Welt, in der sie leben, besser zu verstehen. Mit der Zeit werden sie ruhiger und hören auch besser auf ihre Eltern.

Was bedeutet das für den Lebensweg der Kinder?

Kinder, die LIBRAS lernen, können mit Dolmetschern zur Schule gehen und alle Fächer verstehen. Später können sie studieren und einen Beruf wie jeder andere ausüben. LIBRAS zu lernen und das Evangelium zu hören ist etwas ganz Besonderes für sie, damit haben sie eine bessere Zukunftsperspektive. Ich wünsche mir, dass sie in Zukunft andere Gehörlose unterrichten und sich besser verständigen können. Außerdem hoffe ich, dass noch mehr Hörende LIBRAS lernen, damit Gehörlose in Zukunft ein leichteres Leben führen und sich besser im Alltag verständigen können. Speziell in Kirchen wäre es so wichtig, dass die Hörenden wissen, wie man in LIBRAS kommuniziert, damit sie für Gehörlose übersetzen und sie lehren können.

Zum Stichwort Kirche: Wie gestalten Sie geistliches Leben im CAIS-Projekt?

Einmal in der Woche haben wir einen Gottesdienst in LIBRAS, bei dem ich predige. Für mich ist das ganz normal, denn LIBRAS ist meine Muttersprache, daher kann ich mit Gehörlosen ganz natürlich über das Evangelium sprechen, Fragen beantworten und ihnen das Wort Gottes erklären. Wir haben einen eigenen Raum in der Gemeinde, in dem wir in LIBRAS Gottesdienst feiern, mit Liedern, Gebet, Zeugnissen und Predigt. Am Sonntag nehmen wir mit Hilfe von Dolmetschern am gemeinsamen Gottesdienst mit allen Besuchern teil.

Ich habe Hoffnung, dass mehr Gehörlose und Hörende LIBRAS lernen und Gottes Ruf spüren, das Evangelium unter Gehörlosen auf der ganzen Welt zu lehren und zu verkünden. Wir beten, dass Gott mehr gehörlose Pastoren beruft, um diese Menschen zu erreichen.

Danke für den schönen Einblick in Ihren wertvollen Dienst!

Von Lars Müller. Dieser Blogbeitrag erschien in längerer Version in unserem MAGAZIN 1/2024.

 

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