Geschichten vom Missionsfeld

Juli 2019

Neues Gemeindeleben in verlassenen Kirchen

Neues Gemeindeleben in verlassenen Kirchen

Offiziell ist die Türkei ein säkularer Staat. Mehr als 99 % der Bevölkerung – das sind 80 Millionen Menschen – sind Muslime. Die Rufe der Muezzins in eine der 90.000 landesweiten Moscheen sind daher aus dem alltäglichen Leben nicht wegzudenken. Die Zahl der Christen in der Türkei ist entsprechend gering: Schätzungsweise gibt es nur etwa 4.500 bis 5.000 evangelische Christen und 114 Kirchen im Land.

Das war nicht immer so: Das Land hat eine reiche christliche Geschichte. Die Gemeinden der sieben Sendschreiben aus der Offenbarung liegen alle auf dem Gebiet der heutigen Türkei. Der Apostel Paulus kam aus Tarsus, und bereiste viele der Landschaften, die heute auf türkischem Staatsboden liegen. Die ehemalige byzantinische Kirche Hagia Sophia in Istanbul wurde zwischenzeitlich zur Moschee und ist heute ein Museum. Sie steht als Sinnbild für den Zustand des Christentums in der Türkei: Die wenigen prächtigen Spuren christlichen Lebens scheinen vom Staat geduldete Relikte der Vergangenheit zu sein. Neue Kirchen dürfen nicht errichtet werden. Deshalb treffen sich die meisten Gemeinden in privaten Wohnungen, Büros oder gemieteten Räumen von Ladenzeilen. Die alten Kirchengebäude, soweit es sie noch gibt, sind zu öffentlichen Einrichtungen umfunktioniert worden oder stehen einfach leer.

Es ist daher ein großes Geschenk, dass die Gemeinde in Izmir (dem biblischen Smyrna) sich in einer ehemaligen anglikanischen Kirche treffen kann. Zwar ist das Gebäude hier und da nicht mehr im besten Zustand, aber es bietet genug Platz für Gottesdienste und andere Gemeindeaktivitäten. Die Gemeinde in Adana (nicht weit vom biblischen Tarsus im Süden der Türkei) hat es hingegen schwer: Seit Jahren sind sie auf der Suche nach größeren Räumlichkeiten. Doch niemand möchte einer christlichen Gemeinschaft ein Gebäude vermieten. Pastor Sükrü, Leiter der örtlichen Baptistengemeinde, sucht offen den Kontakt zum Bürgermeister und betet weiter, dass seine wachsende Gemeinde ein neues Zuhause findet.

Solch eine Gebetserhörung hat Pastor Erol bereits erlebt. Nördlich von Izmir, in Menemen, ist seine Gemeinde die einzige christliche Gemeinschaft unter vielen Millionen Menschen. Sie hatten den Wunsch, ein leerstehendes Gebäude zu nutzen. Es wurde Anfang des 19. Jahrhunderts als orthodoxe Kirche gebaut, aber 1924 für die gemeindliche Nutzung geschlossen. Im Jahr 2013 wurde das Gebäude restauriert und als Kulturzentrum genutzt. Vier Jahre lang betete die Gemeinde. Pastor Erol pflegte die Freundschaft zu den zuständigen Behörden. „Historische Gebäude sind attraktiv: Die Menschen sind neugierig und das macht es uns leichter, die Gute Nachricht zu verbreiten“, berichtet Pastor Erol. Die türkische Gesellschaft ist es gewohnt, dass der Glaube sichtbar und nicht nur Privatsache ist. Ein altes Kirchengebäude ist eine Brücke zu den Suchenden. Umso größer war die Freude, als sich die Türen öffneten und die Gemeinde die Erlaubnis erhielt, in der alten Kirche ihre Gottesdienste zu feiern. Das Christentum erlebt eine Erneuerung – und darf sogar die verlassenen Kirchen wiederbeleben!

Dieses Wachstum passiert auch, weil die türkischen Gemeinden ihren Glauben fröhlich und selbstsicher bezeugen. Zum Teil geschieht das nicht ohne Risiko und Anfeindungen. Zivile Polizisten überwachen die Gemeinde in Menemen, um sie vor Angriffen zu schützen. Ähnlich ist es in Adana und in Samsun. Einige Pastoren erhalten staatlichen Personenschutz. Das hält sie nicht davon ab, den ureigenen Auftrag der Kirche zu leben: Vom Glauben zu erzählen und Menschen zu helfen.

Grenna Kaiya, Teamleiterin für Projekte und Programme bei EBM INTERNATIONAL, besuchte im Juni gemeinsam mit Generalsekretär Christoph Haus die Gemeinden in der Türkei. Das Engagement der türkischen Geschwister hat sie sehr beeindruckt. Sie resümiert: „Die wenigen Christen in der Türkei verleihen ihrem Glauben durch ihr Handeln große Glaubwürdigkeit. Das ist ein großartiges Zeugnis!“